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Konzentration von Agrarland in Europa, ein politisch vorangetriebener Prozess

I. Einleitung

Die Europäische Union (EU) importiert jährlich rund 35 Millionen Tonnen Sojabohnen, fast ausschließlich zur Eiweißversorgung von Schweinen, Geflügel und Milchrindern. Eine vermeintlich leistungsfähige europäische Landwirtschaft  ist angewiesen auf Importe aus der Großflächenlandwirtschaft in den USA, aus den Latifundien Südamerikas und aus afrikanischen Staaten, in denen überregionale Agrarinvestoren durch Absprachen mit korrupten Regimes Flächen bewirtschaften, die  einheimischen Bauern für eine regionale Landwirtschaft entzogen wurden. Die EU- Landwirtschaft ist also auf das Landgrabbing (to grabb zusammenraffen) in Afrika und Amerika angewiesen.

Zugleich ereignet sich in der EU seit mehr als zwei  Jahrzehnten ein Konzentrationsprozess von Ackerland in einem großen und immer bedeutsameren Ausmaß.

Vermutlich hatte das EU- Parlament diesen Konzentrationsprozess im Blick,  als es eine Entschließung zur Agrarlandkonzentration in der EU im April 2017 verabschiedete, die den Anschein einer kritischen Bestandsaufnahme vermitteln sollte. Die deutsche Berichterstatterin Noichl (SPD) feierte allein das in einer Presseerklärung als Erfolg. Folgen für politisches Handeln sind offenbar nicht geplant, wenn bedacht wird, daß in Deutschland besonders in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern unter  SPD- Agrarministern  ausgeprägte Agrarlandkonzentrationsprozesse eingeleitet und ohne größere Kritik auf Dauer gestellt wurden.

Die Entschließung des EU- Parlaments von 2017 ist lang, sie verliert aber kein Wort zum Sachverhalt, daß sich innerhalb der EU die Landkonzentrationsprozesse auf Ostdeutschland und Osteuropa beschränken. Tatsächlich hat ausgerechnet eine vom EU- Parlament in Auftrag gegebene Studie gezeigt, daß Landkonzentrationsprozesse in der EU ausschließlich in Ostdeutschland und Osteuropa (Kay et al., 2015). Diese Erkenntnisse wurden in der Entschließung des Parlaments ignoriert. Das EU- Parlament beschäftigt sich in der Entschließung also nicht ernsthaft mit der Agrarlandkonzentration in Europa.

Im Folgenden wird ein Überblick über den Landkonzentrationsprozess in Ostdeutschland nach 1990 gegeben, um in einem weiteren Schritt die Situation in Osteuropa darzustellen. In einem abschließenden Kapitel wird die Bedeutung der Landkonzentration in den Gesamtzusammenhang der Agrarstrukturentwicklung gestellt.

II. Bodenpolitik in Ostdeutschland nach 1990

In Deutschland gibt es heute teilweise exzessiven Großgrundbesitz und zwar in Ostdeutschland, auf dem Boden der ehemaligen DDR, aber kaum in Westdeutschland. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise gab es 2011 nur vier Betriebe mit mehr als 1.000 ha, in Niedersachsen elf Betriebe mit mehr als 1.000 ha aber in Mecklenburg-Vorpommern 341 Betriebe > 1.000 ha, die rund 40 % der dortigen Landwirtschaftsflächen bewirtschaften (Klüter, 2012). Die zentrale Ursache für diesen Unterschied zwischen West und Ost stellt die Tatsache dar, daß im Jahr 1990 Großeigentümer wie der Bund (Treuhand), die neuen Bundesländer, die dortigen Kommunen  und die evangelischen Kirchen in Ostdeutschland regional unterschiedlich zwischen 50 und 90% der landwirtschaftlichen Nutzfläche besaßen und verpachteten. Und diese Verpächter haben im Wesentlichen an Großbetriebe verpachtet, einerseits an Rechtsnachfolger der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) in der DDR, andererseits an große Betriebsneugründungen von DDR- Agrarnomenklaturkadern (s. zur Definition Bastian, 2010) ab 1990. In Ostdeutschland verfügte allein der Bund 1990 über die Treuhand mit mehr als zwei Millionen ha über rund 40% landwirtschaftlicher Nutzfläche. Der Treuhand-Pool an landwirtschaftlichen Nutzflächen stammte vor allem aus den enteigneten Flächen in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) 1945/46 im Rahmen der „Bodenreform“. Eine mögliche Teilrestitution  nach 1990 wurde von der Regierung Kohl verworfen, mit der Behauptung, das Restitutionsverbot sei eine Vorbedingung der Sowjetunion im Vorfeld der Wiedervereinigung gewesen. Diese politische Behauptung war vorgeschoben (Paffrath, 2004). Tatsächlich waren es unter anderen die ostdeutschen CDU- Kader und die Kader der in die CDU aufgenommenen Partei „Demokratische Bauernpartei Deutschlands“ (DBD), die auf der Konservierung der Bodenreform bestanden und der „West“- CDU mit  der Verknüpfung einer Zustimmung zu den Ergebnissen der Bodenreform und zukünftigen Wahlerfolgen in Ostdeutschland das entscheidenden Argument lieferten. Beispiele für einflussreiche ostdeutsche CDU- Agrarpolitiker sind Sklenar aus Thüringen und Wernicke aus Sachsen-Anhalt, jeweils nach 1990 langjährige Agrarminister in ihren Bundesländern. Beide waren vor 1990 DBD- Politiker und jeweils stellvertretende Leiter eines volkseigenen Gutes (VEG). Damit waren  sie Agrarnomenklaturkader und wurden von der SED über ihre Abteilungen „befreundete Parteien“ geführt, waren also tatsächlich SED Kader (Bastian, 2010). Solche Köpfe bestimmen seit 1990 im Wesentlichen in der CDU die Agrarpolitik in Ostdeutschland und darüber hinaus.

Tatsächlich hätte eine Teilrestitution der Bodenreformflächen zu einer breiten Eigentumsstreuung auf dem Land geführt (Gerke, 2008, Kap. IV), die eine hohe Akzeptanz in der ostdeutschen Landbevölkerung hatte. Eine breite Eigentumsstreuung jedoch wurde, wie die weitere Entwicklung zeigte, von fast allen ostdeutschen Agrarpolitikern vehement bekämpft.

Die Treuhand, ab 1992 BVVG (Bodenverwertungs- und Verwaltungsgesellschaft) hatte durch die „Treuhandrichtline“ von 1992 klare, rational nachvollziehbare und sinnvolle Richtlinien zur Verpachtung ihrer Flächen erhalten. Allein, die Richtlinien spielten bei der Verpachtung keine Rolle.

Der Grund dafür lag darin, daß die zuständigen Verpachtungskommissionen bei den Ämtern für Landwirtschaft überwiegend mit DDR- Agraraltkadern besetzt waren, die die Flächen fast ausschließlich an LPG- Nachfolger oder an Betriebsneugründungen von Agrarnomenklaturkadern verpachteten, also an ihre früheren SED- oder DBD- Genossen. Diese Kommissionen wurden meist als „Bodenkommissionen“ bezeichnet, eine Erinnerung an die repressiven Enteignungen im Rahmen der „Bodenreform“ 1945/46 damals auch durch Bodenkommissionen. Der Kriterienkatalog für die BVVG- Verpachtung, der die bäuerlichen Wiedereinrichter privilegierte, spielte keine Rolle. DDR- Agrarkader zusammen mit einigen Funktionären des Deutschen Bauernverbandes (DBV) verteilten die Flächen unter sich (zur Rolle des DBV nach 1990 in Ostdeutschland s. Bastian, 2003; Gerke, 2008, Kap. II).

Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Verpachtung der BVVG- Flächen in Abhängigkeit von der Betriebsgröße.

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Tab. 1.    Verpachtung von BVVG- Flächen an Betriebe, sortiert nach Betriebsgrößenklassen [in ha] zum Stichtag 1.1. 2010 in Ostdeutschland. (Quelle Bundesfinanzministerium, 2012)

Bis 100       100- 250       250- 500      500- 1.000      über 1.000

ha                ha                   ha                 ha                    ha

5.779          20.807           35.541           71.038           154.873

2%               7,2%            12,3%            24,6%             53,8%

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Fast 80% der Flächen waren zum Stichtag an Betriebe über 500 ha verpachtet. Betriebe unter 100 ha bewirtschafteten rund 2% der BVVG- Flächen (Tabelle1).

Dabei machten und machen auch in Ostdeutschland die Betriebe < 100 ha mehr als 50 % aus. Die großen Betriebe im Osten wurden also so groß, weil der staatliche Verpächter BVVG seine Flächen fast ausschließlich an eine kleine Gruppe von Betrieben verpachtete, die dadurch Großbetriebe wurden. Und auch die Verpachtung der Landes- und Kommunalflächen wurde durch dieselben „Bodenkommissionen“ entschieden und  folgte demselben Muster. Und die evangelischen Kirchen im Norden und in Mitteldeutschland haben sich daran orientiert. So ergab sich beispielsweise bei einer Pächterbefragung durch die Mecklenburgische Landeskirche 2008, daß der durchschnittliche Pachtbetrieb rund 830 ha! groß war. Die Mecklenburger Landeskirche hat immerhin über 20.000 ha landwirtschaftliche Flächen im Eigentum.

Aus einer vorübergehenden Pachtpräferenz für  Großbetriebe in der Landwirtschaft wurde ein Dauerzustand.

Für den bei weitem größten staatlichen Pool, die BVVG- Flächen, wurden die Modalitäten des Verkaufs 1994 durch das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz (EALG) geschaffen. Darin wurde festgelegt, daß fast ausschließlich die Pächter die Pachtflächen verbilligt kaufen dürfen. Bauernhöfe ohne BVVG- Pachtflächen durften keine BVVG- Flächen kaufen, auch nicht zum Höchstgebot. Die 1945/46 enteigneten Familien, für die das EALG ursprünglich geschaffen wurde, kamen im EALG  nur am Rande vor.

Tabelle 2 benennt die Nutznießer des EALG.

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Tabelle 2: Kumulative Verkäufe von landwirtschaftlichen BVVG- Flächen von 1992- 2011 an unterschiedliche Gruppen [ha] (Bundesfinanzministerium, 2012).

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Pächter      Alteigentümer   allg. Ausschreibung   beschr. Ausschreibung

—————————————–[ha]—————————————————

633.753           20.436                     44.455                            5.519

Von den insgesamt mehr als 700.000 ha an landwirtschaftlichen BVVG- Flächen, die bis 2011 verkauft wurden, gingen über 90% an die Pächter, also LPG- Nachfolger oder Betriebe von DDR- Agrarkadern, geringe Anteile wurden frei ausgeschrieben oder an die Alteigentümerfamilien verbilligt verkauft.

Von besonderer Bedeutung dabei ist, daß die Verkäufe an die Pächter bis ca. 2010 zu sehr niedrigen Preisen erfolgten, teilweise nahe dem Nulltarif. So lag in Brandenburg 2003 der Verkaufspreis für arrondierte Ackerflächen an die Pächter bei rund 1.300 €/ha; zum Vergleich dazu lagen in Bayern oder Schleswig- Holstein damals die Preise für gleichwertige Flächen zwischen 30.000 und über 50.000 €/ha (Gerke, 2012).

Auch in anderen Bundesländern wurden beste arrondierte Ackerflächen zu Preisen von 2.000 EUR oder sogar weniger an LPG- Nachfolger oder ehemalige Agrarkader verkauft (Gerke, 2008; Kap. IV).

Eine gewisse Nachjustierung des EALG nahm die CDU/CSU/FDP- Koalition 2009- 2013 vor. Alteigentümerfamilien konnten danach zusätzlich in geringem Umfang BVVG- Flächen erwerben, zu den besonders niedrigen Preisen von 2004. Dadurch konnte diese Gruppe Flächen von jeweils 5- ca. 50 ha zusätzlich verbilligt erwerben. Statt die daraus folgende etwas breitere Eigentumsstreuung im Osten zu würdigen, setzte besonders in Ostdeutschland, aber nicht nur dort eine mediale Hetzkampagne gegen diesen zusätzlichen Verkauf an die enteigneten Familien ein, vom Spiegel (Die Rückkehr der Junker), über nahezu alle ehemaligen SED- Bezirkszeitungen wie Ostseezeitung Leipziger Volkszeitung, Märkische Allgemeine…. bis zum Westberliner Tagesspiegel. Besonders eifrig in ihrer Agitation waren die Bundestagsabgeordneten W. Wolf (SPD) aus Sachsen-Anhalt  und C. Tackmann (PDS), agrarpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion. Der Verkauf von bis zu 50 ha an die Alteigentümerfamilien wurde als neuer Großgrundbesitz bezeichnet, während der Kauf von beispielsweise bis zu 1.500 ha BVVG- Flächen durch drei Altkader in einer GbR als Beitrag zu einer gesunden Landverteilung definiert wurde.

Die Verpachtung und Verkäufe der Landwirtschaftsflächen der öffentlichen Hand waren entscheidend für die Agrarstrukturentwicklung in Ostdeutschland nach 1990. Dabei haben CDU, SPD und SED/PDS/Linke perfekt zusammengearbeitet. Und der größte Flächenblock der bundeseigenen BVVG wurde zu der Zeit an ostdeutsche Großbetriebe verkauft, als R. Künast (Grüne) Bundesagrarministerin war (2001- 2005). Dieser Sachverhalt unterstreicht, daß für CDU, SPD, Linke und Grüne eine mittelständische, bäuerliche Landwirtschaft irrelevant und entbehrlich ist.

Ohne Lobbyeinfluss konnten in Ostdeutschland um 1990 nur wenige Flächen in Privatbesitz verpachtet werden. Es gab einen Pool an Flächen, der aus der Verfolgung und Enteignung der Großbauern (20- 99 ha) stammte, die zumeist nach Gründung der DDR bis 1959 enteignet wurden. Für diese Flächen galt ersichtlich das Argument der sowjetischen Vorbedingung nicht, da formal die DDR ein souveräner Staat war. Auf dem Höhepunkt der Diskussion zur Wiedervereinigung im Juni 1990 hat der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in einer Presseerklärung die Bundesregierung aufgefordert, auf sämtliche Restitutionen in der damaligen  DDR zu verzichten. Das hätte faktisch ein Verbot für die Wiedergründung von Bauernhöfen dort bedeutet. Der BDI hat seine Forderung nicht durchsetzen können, die nach 1949 enteigneten Flächen wurden auf Antrag restituiert, sodaß rund 10-20 % der ostdeutschen Ackerflächen nicht durch die öffentliche Hand verteilt wurden, also für eine breite Eigentumsstreuung ohne weitgehenden staatlichen Einfluss zur Verfügung standen. Tatsächlich hat der BDI in seiner Presseerklärung schon die Agrarpolitik der nächsten Jahrzehnte in Ostdeutschland vorweggenommen. Die Motive für eine solche Huldigung der repressiven Enteignungen  in der DDR sind eine eigene Arbeit wert.

Generell gilt, daß in Ostdeutschland heute die Landkonzentration dort am höchsten ist, wo 1990 die öffentliche Hand den größten Grundbesitz hatte, in Vorpommern, in Brandenburg (BR) und Teilen von Mecklenburg und Sachsen-Anhalt. Es war also die Bodenpolitik der öffentlichen Hand, die den Großgrundbesitz nach 1990 in Ostdeutschland massiv gefördert, ja geschaffen hat.

Ab  dem Jahr 2007 haben dann ortsfremde, externe Investoren mit dem Ankauf von Großbetrieben, vor allem  LPG- Nachfolgern in Ostdeutschland begonnen. Deren Ziel  war der Erwerb von sicheren Anlageobjekten. Das bedeutete für die Agrarstrukturen, daß statt der 3.000- 6.000 ha großen LPG- Nachfolger nun Betriebe mit 10.000 bis über 30.000 ha in einer Hand entstanden. In Teilen von Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Brandenburg befindet sich mittlerweile mehr als 40% der landwirtschaftlichen Nutzfläche im Eigentum von externen Investoren. Und der Anteil dort steigt stetig.  Der größte von ihnen, die KTG Agrar mit mehr als 35.000 ha wurde vor einigen Jahren zahlungsunfähig und danach aufgespalten.  Nutznießer waren unter anderem die Versicherung Munich Re, die in Brandenburg aus der Liquidationsmasse 2.400 ha erwarb. Zwei Bedingungen erlaubten dies. Zum einen wird bei jedem Hektar, den ein Privatmann oder Landwirt von einem Familienbetrieb kauft, geprüft, ob das jeweilige Land Vorkaufsrecht zugunsten eines anderen Käufers einlegt. Wenn aber Anteilskäufe von juristischen Personen in der Landwirtschaft stattfinden, wie z.B. 2.400 ha durch die Munich Re, so sehen Gesetze und Verordnungen keine Prüfung und Vorkaufrecht vor. Zum anderen fällt dann keine Grundsteuer an, wenn weniger als 95% der Anteile  einer juristischen Person erworben werden. Die Munich Re hat laut Handelsblatt online 94,9% von den 2.400 ha erworben, sodaß ein sechsstelliger Betrag an Grundsteuer für den Versicherer entfiel. Beide Aspekte beim Kauf von Anteilen sind seit 10 Jahren in der Diskussion und hätten schon längst politisch revidiert werden müssen. Sie führen dazu, daß juristische Personen in der Landwirtschaft massiv bevorteilt werden. Der Wettbewerbsnachteil für Familienbetriebe ist immens.

Ein großer Teil der Liquidationsmasse der KTG Agrar wurde auf eine Stiftung in Liechtenstein mit einem Grundkapital von 30.000 EUR übertagen. Der mit mehreren Millionen EUR bewertbare Nutzungsanspruch wird auf eine Stiftung mit einem Kapital von 30.000 EUR übertragen und die Bundesländer in denen die KTG Agrar operierte, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern schauen zu, oder unterstützen diese Übertragung noch.

Wenn ganze Betriebe wie z.B. LPG- Nachfolger von überregionalen Investoren aufgekauft werden, so ist dies für die Investoren nur dann sinnvoll, wenn die Pachtflächen langfristig gesichert werden können. Bei einem großen Teil der Pachtflächen ist die öffentliche Hand Verpächter (BVVG, ostdeutsche Bundesländer und Kommunen). Bund, Länder und Kommunen hätten durch Kündigung oder allein schon die Ankündigung der Kündigung den Verkauf der juristischen Personen an überregionale Investoren und damit den Ausverkauf des Landes verhindern können.

Im Jahr 2015 haben Bundeslandwirtschaftsministerium und Länderagrarminister ein Papier zur Bodenpolitik erstellen lassen. Das Problem der Anteilskäufe und  der Genehmigung großer Verkäufe haben darin keinen Platz. Die Förderung von Landkonzentrationsprozessen erscheint sogar geradezu als Ziel bundesdeutscher Agrarpolitik, quer durch die Parteien.

III. Agrarlandkonzentration in der EU

Im Auftrag der Europäischen Statistikbehörde EUROSTAT wurde 2011 eine Erhebung zur Landkonzentration in der EU vorgelegt (Martins und Tossdorff, 2011).

Tabelle 3. Mittlere landwirtschaftliche Nutzfläche der größten Landwirtschaftsbetriebe, die 20% der landwirtschaftlichen Nutzfläche bewirtschaften, ihr Anteil an allen Betrieben, die mittlere Durchschnittsfläche aller Betriebe und das Verhältnis der Wirtschaftsflächen der größten Betriebe zu der der mittleren Betriebsfläche (Martins und Tossdorf, 2011, Auszug).

LandDurchschnitts-

größe

größte Betriebe

(ha)Durchschnittsgröße aller Betriebe

(ha)Verhältnis

groß /Durchschnitt (ha)Anteil größter Betriebe  (%)Bulgarien3.12865210,04Dänemark1.24960202,80Deutschland1.39146300,60Frankreich2745253,80Großbritannien2.46154440,45Italien3378420,45Niederlande1352553,68Österreich29519161,31Polen2506420,52Rumänien1.80236090,04Slowakei3.934281420,14Tschechien3.53189420,52

Großgrundbesitz gibt es nicht nur in Ostdeutschland, sondern in fast allen  Staaten Osteuropas, die bis 1990  von der Sowjetunion wirtschaftlich und politisch abhängig waren. Die Ergebnisse von Martins und Tossdorf (2011) unterstreichen dies.  In Ländern wie Bulgarien, Rumänien, oder der Slowakei liegt die durchschnittliche Betriebsgröße der größten Betriebe, die 20% der landwirtschaftlichen Fläche bewirtschaften bei über 1.000 ha, vielfach sogar über 3.000 ha. Wenn man diese Betriebsgröße zu der Betriebsgröße aller Betriebe eines Landes ins Verhältnis setzt, so ergibt sich ein Maß für die Ungleichverteilung und damit Landkonzentration (Tab. 3, Spalte 3). Deutschland nimmt eine Mittelstellung ein; die breite Eigentumsstreuung im Westen puffert die ausgeprägte Landkonzentration im Osten ab.

Die Agrarlandkonzentration tritt heute besonders in all den Ländern auf, in denen die Kollektivierung der Landwirtschaft nach dem Muster der Sowjetunion in den 1950er und 1960er Jahren durchgeführt wurde. Damals wurden Großbetriebe gebildet und es fand  eine Trennung des landwirtschaftlichen Eigentums von den Bewirtschaftern statt. Die jeweiligen Agrarkader behielten auch nach 1990 in den meisten Fällen das Heft in der Hand. Dies ermöglichte hohe EU- Agrarbeihilfen und hohe Erlöse beim Verkauf der Flächen beispielsweise an externe Investoren.

Welch ein Ausmaß an Repression gegenüber der Landbevölkerung auch nach 1990 ausgeübt wurde, zeigt das Beispiel Rumänien. In einem Land mit mehr als 3 Millionen landwirtschaftlicher Betriebe unter fünf ha gibt es einen ausgeprägten Ausverkauf landwirtschaftlicher Flächen an externe Investoren, wie Versicherungskonzerne, die Betriebe bis  20.000 ha zusammenraffen konnten (Attila et al., 2015).

In einem durch alte Kader dominierten System konnten in Rumänien externe Investoren große Flächen erwerben, obwohl diese Flächen zur Verbesserung der Agrarstruktur von einheimischen Betrieben dringend benötigt wurden (Attila et al., 2015). In Bulgarien, einem weiteren Land mit extremer Agrarlandkonzentration übernehmen alte Kader als Landhändler den Ausverkauf (Kay et al., 2015).

Daß tatsächlich die kollektivistischen Agrarstrukturen in Osteuropa Ausgangspunkt für das „Landgrabbing“ nach 1990 sind, zeigt das Beispiel Polen. Auch dort wurde in den 1950er Jahren versucht, die Kollektivierung nach sowjetischem Vorbild durchzusetzen. Dieser Versuch scheiterte, weil der Widerstand in den bäuerlich, katholisch geprägten ländlichen Regionen so groß war, daß selbst rigide und repressive Maßnahmen den Widerstand gegen die Kollektivierung nicht brechen konnten. Tabelle 3 zeigt, daß die Parameter der Bodenkonzentration in Polen denen von Italien, Frankreich oder den Niederlanden ähneln. Ohne Verfügung über das Ackerland, d.h. ohne Zwangskollektivierung, war der Einfluss der sozialistischen Agrarkader nach 1990 auf die Agrarentwicklung geringer als in den anderen Ländern Osteuropas.

Und schließlich gibt es auch in Westeuropa eine Ausnahme bezüglich der Landkonzentration, nämlich Großbritannien.  Auch in Großbritannien ist die Durchschnittsgröße der größten Betriebe sehr hoch, vergleichbar mit Osteuropa. Aber, in Großbritannien gibt es im Gegensatz zu den osteuropäischen Staaten einen bedeutsamen landwirtschaftlichen Mittelstand von Betrieben in der Größe 20- 200 ha, was zu einer Durchschnittsgröße aller Betriebe von über 50 ha führt, ähnlich wie in Dänemark oder Frankreich.

IV. Bedeutung der Landkonzentration für die Agrarstrukturentwicklung in Europa

Die Bedeutung der Landkonzentration für die Agrarentwicklung kann kaum überschätzt werden. In der öffentlichen Diskussion spielt der Konzentrationsprozess  allerdings kaum eine Rolle. Gerade, wenn es dabei um die Ursachen geht, verhindern Lobbyinteressen der Großgrundbesitzer und ideologische Interessen in Bezug auf kollektive Landbewirtschaftung eine angemessene Auseinandersetzung.

Seit ca. 1995 wird ausgiebig über die EU- Agrarsubventionen diskutiert. Diese werden seit 25 Jahren zu mehr als 90% nach der Betriebsgröße verteilt, ein System, das zwischen 1998 und 2017 mehrfach  bestätigt wurde. Auch von Kritikern der gegenwärtigen Agrarpolitik, einem Zusammenschluss von Umweltverbänden, Öko- Anbauverbänden und anderen „oppositionellen“ Gruppen wurde dagegen die Landkonzentration kaum thematisiert; zentral für diese Gruppen war und ist die Subventionsverteilung.

Dabei ist die Bodenkonzentration, die in Ostdeutschland praktisch einer „Bodensperre“ für Bauernhöfe gleichkommt (M. Beleites, 2002 in seinem Bericht an den sächsischen Landtag), viel rigider und restriktiver als die selektive Ausreichung von Agrarsubventionen an Großbetriebe. Den Subventionseffekt können Bauernhöfe durch effizientes Wirtschaften kompensieren. Wenn jedoch kein Boden zur Bewirtschaftung für Bauernhöfe zur Verfügung steht, gibt es keine Bauern. Und das ist in weiten Regionen Ostdeutschlands der Fall.

Die Folgen der Landkonzentration für die Landwirtschaft sind zudem kaum in den universitären Disziplinen untersucht worden, die dafür zuständig sind: Agrarökonomie und Agrarpolitik. Die Hochschulprofessoren waren still, als 1994 das EALG zum Verkauf der BVVG- Flächen beschlossen wurde, auch in der ideologischen  Überzeugung begründet, daß Großbetriebe in der Landwirtschaft effizienter und besser arbeiten (s. dazu auch Gerke, 2008, Kap. IX). Die universitäre Agrarforschung hat versagt. Sozioökonomische Parameter der Großbetriebslandwirtschaft  in Ostdeutschland wurden dagegen vom Greifswalder Geographen H. Klüter und seiner Arbeitsgruppe erhoben (Klüter,  2012; 2015). Dazu wurden in einer Reihe von Untersuchungen verschiedene  Parameter der Landwirtschaft der Länder Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Brandenburg mit denen von westdeutschen Flächenländern wie Niedersachsen , Nordrhein-Westfalen und Bayern verglichen.

Die Flächenproduktivität der Landwirtschaft in [EUR/ha] ist quer durch die ostdeutschen Bundesländer erheblich geringer als in den westdeutschen Flächenländern, so ist diese in Nordrhein-Westfalen um den Faktor 2.5 höher als in Mecklenburg-Vorpommern, das wiederum eine erheblich höhere Flächenproduktivität als Brandenburg aufweist (Klüter, 2012, 2015). Großbetriebslandwirtschaft hat also eine niedrige Flächenproduktivität. Die Hektargewinne liegen in Ostdeutschland im Mittel um 100 €/ha oder niedriger, während diese beispielsweise in den westdeutschen Flächenstaaten bei über 400 EUR liegen (Klüter, 2012). Da dabei die EU- Agrarsubventionen von rund 300 €/ha schon mit eingerechnet sind, bedeutet dies, daß ohne Subventionen die Großflächenlandwirtschaft notorisch unrentabel ist. Dieser Sachverhalt widerspricht dem durch ARD/ZDF/FAZ/Spiegel usw. verbreiteten Bild, daß Agrarsubventionen vor allem „Kleinbauern“ zugute kämen. Eine kapitalintensive Großflächenlandwirtschaft, die, wie in Ostdeutschland, vor allem erlösarme Druschfrüchte und Biogas-Mais produziert, benötigt permanent hohe Agrarsubventionen. Die Auswertung der zugänglichen statistischen Daten dazu durch Klüter (2012, 2015) zeigt ein eindeutiges Bild.

Die abschließende Frage ist, wie lange sich Europa noch eine derartig Energie- und rohstoffintensive globalisierte Großbetriebslandwirtschaft leisten kann, die zur Erfüllung ihrer Ernährungsaufgabe auf exzessive Eiweißimporte angewiesen ist? Der Gegenentwurf ist eine regionale, mittelständische und vielfältige Landwirtschaft. Die politisch organisierte Schaffung von agrarischen Großstrukturen in Europa ist ein Angriff auf die einheimische Nahrungsmittelversorgung.

Literatur

S.B.M. Attila/R.B. Maria/S. Alzbeta: Landgrabbing in Romania. Cluj Napocea, 2015.

  1. Bastian: Sozio-ökonomische Transformationen im ländlichen Raum der neuen Bundesländer. Dissertation, FU, Berlin, 2003.

  2. Bastian: Die Folgen des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes als aktuelle Herausforderung. in M. Beleites et al. (Hg.): Klassenkampf gegen die Bauern. Berlin, 2010, 109- 112.

  3. Gerke: Nehmt und euch wird gegeben. Das ostdeutsche Agrarkartell. Hamm, 2008.

  4. Gerke: Ostdeutsche Bodenpolitik nach 1990. Das Zusammenspiel von Politik, Justiz und Verwaltung. Hamm, 2012.

  5. Kay/J. Peuch/J. Franko: Extend of farmland grabbing in the EU. Brüssel, 2015.

  6. Klüter: Leitbild für die ländlichen Räume im Nordosten Deutschlands: Ausbreitung der Agrarindustrie oder Garten der Metropolen. in J. Kröger (Hg.): Agrarindustrie oder Garten der Metropolen. Schwerin, 2012, S. 9- 20.

  7. Klüter: Wertschöpfung und Erzeugerstruktur in der Landwirtschaft Mecklenburg-Vorpommerns. In J. Kröger et al. (Hg.): Nachhaltige Landwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin, 2012, S. 18- 26.

  8. Martins/G. Tossdorf: Large farms in Europe. EUROSTAT, statistics in focus 18, 2011.

  9. Paffrath: Macht und Eigentum. Die Enteignungen 1945-1949 im Prozess der deutschen Wiedervereinigung. Köln, Weimar, Wien, 2004.

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