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Warum das Thema „Ostdeutsche Bodenpolitik”?

In Ostdeutschland vollzieht sich auf dem Lande eine Entwicklung, die in vielen Regionen zu gravierender Abwanderung und damit zu Entvölkerung führt. Diese Entwicklung ist nicht zufällig, sie ist Endpunkt eines Prozesses, der durch die Agrarpolitik systematisch mit herbeigeführt wurde.

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Zur Zeit der Wende verfügten die öffentliche Hand, Bund, die neugegründeten ostdeutschen Bundesländer und die Kommunen, regional unterschiedlich, über 40- 70% der landwirtschaftlichen Nutzfläche.

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Die ostdeutschen Landesregierungen, in deren Hand sich die Verfügung über diese Flächen konzentrierte, haben damit Bodenpolitik und gleichzeitig Strukturpolitik betrieben, zugunsten von Großbetrieben als LPG- Nachfolger, von Betriebsneugründungen von DDR- Nomenklaturkadern und zugunsten einer Reihe von westdeutschen Agrarfunktionären.

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Der Begriff „Ostdeutsche Bodenpolitik“ weist dabei weit über eine partikuläre Bodenvergabe hinaus auf den systematischen Struktureffekt hin, der damit gezielt erreicht werden sollte und erreicht wurde. Diese Art der Strukturpolitik hat wenige Tausend Profiteure, aber sie hat in den ländlichen Regionen große Gruppen von Benachteiligten geschaffen und hinterlassen: die nach der Wende wiedergründungswilligen oder neugründungswilligen Bauern, die nach der Wende ausgeschiedenen LPG- Mitglieder, die Familien der Opfer der repressiven Bodenreform, und die nach 1990 enteigneten Familien der Neusiedler- Erben, um nur einige Gruppen zu nennen.
Die Entschädigung dieser weit über eine Millionen Menschen zählenden Gruppe von Benachteiligten hat die Lobby aus ostdeutschen Ministerpräsidenten, Landwirtschaftsministern, ostdeutschen Landesbauernverbänden und Genossenschaftsverbänden verhindert. Dabei war und ist die Bodenpolitik das zentrale Element. Sie hat dazu geführt, daß Großbetriebe mit einer Fläche von über 500 ha in Ostdeutschland bei der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung dominieren. Und die Auswirkungen der geschaffenen Agrarstrukturen sind weitreichend.

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Das System der EU- Agrarbeihilfen, das seit Mitte der neunziger Jahre des letztem Jahrtausends zentral für die Erlöse der Landwirtschaft in der EU ist, gäbe es in der gegenwärtigen Form ohne die Lobby für die 1.000- 1.500 Großbetriebe mit Wirtschaftsflächen über 1.000 ha in Ostdeutschland nicht. Spätestens seit dem Jahr 2000 gäbe es stattdessen eine degressive Ausgestaltung oder einzelbetriebliche Kappungsgrenze für die Beihilfen. Die EU- Agrarbeihilfen sind so aber auf diese Großbetriebe ausgerichtet.

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Die Pacht oder der Kauf der Flächen der öffentlichen Hand ist hoch subventioniert und liegt bis heute teilweise um den Faktor 10 niedriger, als Vergleichspreise und Pachten auf dem freien Markt. Eigentlich eine gute Ausgangssituation von Betriebsneugründungen bäuerlicher Betriebe. Aber genau diese Betriebe, mehr als 80% der ostdeutschen Betriebe, wurden von Pacht und Kauf der Flächen der öffentlichen Hand ausgeschlossen.

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Gegen diese bodenpolitischen Subventionsexzesse kann eine bäuerlich geprägte Landwirtschaft auf Dauer nicht existieren. Und tatsächlich gibt es in ganz Deutschland ein Sterben von Bauernhöfen auf hohem Niveau.

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Dazu kommen für LPG- Nachfolgebetriebe zusätzliche, ungerechtfertigte Sondersubventionen nach der Wende, wie der vollständige Altschuldenerlass, der aufgrund steuerlicher Vorteile sogar überkompensiert wurde, die Vermögensauseinandersetzung mit den ausgeschiedenen LPG- Mitgliedern, bei der die überwiegende Mehrheit um ihre Ansprüche gebracht wurde. Das Vermögen verblieb dann bei den LPG- Nachfolgern.

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Die ostdeutsche Bodenpolitik ist auch eine entscheidende Vorrausetzung dafür, daß in immer stärkerem Ausmaß ein Ausverkauf der ostdeutschen Landwirtschaft an externe Investoren stattfindet.

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Die durch die Bodenpolitik geschaffenen industriellen Großbetriebe sind Kern für die industrielle Tierhaltung. Kooperationen beispielsweise bei der Abnahme der Wirtschaftsdünger sind einfacher mit einem Großbetrieb, als mit vielen mittelständischen Betrieben zu regeln. Zusätzlich fördern die ostdeutschen Bundesländer die Ansiedlung agrarindustrieller Anlagen, indem dafür landeseigene Flächen bereitgestellt werden- auch eine Form der Bodenpolitik. Schließlich sind es die Agrarstrukturen Ostdeutschlands, in denen bis zum Verbot mehr als 95% des bundesdeutschen Anbaus von Genmais stattfanden. Der negative Einfluss einer industriellen Agrarstruktur auf den Tourismus, in Bundesländern wie Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg von besonderer Bedeutung, ist ein weiterer Aspekt.
Und schließlich sind es die hochwertigen Regionalprodukte einer bäuerlichen Landwirtschaft und nicht die Produkte einer industriellen Landwirtschaft die eine hohe Wertschöpfung ermöglichen. Wie der Greifswalder Geograf, Helmut Klüter gezeigt hat, erreicht die Großflächenlandwirtschaft in Ostdeutschland eine sehr geringe flächenbezogene Wertschöpfung.

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All dies macht das Thema „Ostdeutsche Bodenpolitik nach 1990“ zu einem zentralen Thema der ländlichen Regionen nicht nur in Ostdeutschland sondern in Gesamtdeutschland.

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Dem gegenüber steht eine außerordentlich reduzierte, dünne öffentliche Diskussion, die in keiner Weise den bodengebundenen Subventionen von mehr als 20 Milliarden € für subventionierte Pacht und Kauf der öffentlicher Flächen in Ostdeutschland gerecht wird.
Dies verweist auf die Tatsache, daß in Ostdeutschland Korrektive für Fehlentwicklungen fehlen oder nicht in ausreichendem Umfang ausgebildet sind. Es sind dies zivilgesellschaftliche Institutionen, die diese Korrektive darstellen, unabhängige Verwaltungen, Justiz und Medien.
Agrar- und Kommunalverwaltungen agieren bis heute häufig eng mit den Spitzen der Agrargroßbetriebe teilweise gegen verwaltungsrechtliche Vorgaben und häufig auf politische Anweisungen der entsprechenden Landesregierungen hin.

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Die Justiz hat in vielen Fällen, die die ostdeutsche Landwirtschaft betreffen versagt und versagt bis heute, beispielsweise die Registergerichte bei der Eintragung der LPG- Nachfolger (Bayer , 2002, Friedrich- Schiller Universität, Jena), zum Versagen in der juristischen Aufarbeitung des Verfolgungscharakters der Bodenreform durch die ostdeutschen Fachgerichte s. Wasmuth (2012, ZOV, S122- 127), zum Versagen des Bundesverfassungsgerichts im Bodenreformurteil von 1991 s. Paffrath (2004, Böhlau, Köln, Weimar und Wien).

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Schließlich ist der dritte Pfeiler einer lebendigen Zivilgesellschaft, unabhängige und kritische Medienstruktur, wichtig für einen offenen Diskurs über Fehlentwicklungen. Und genau hieran fehlt es.

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Die ostdeutsche Bodenpolitik ist in den letzten 23 Jahren nie von einer kritischen Öffentlichkeit begleitet worden. Das hat viele Gründe wie z. B. die starke Präsenz der ostdeutschen Landesbauernverbände in den Rundfunkbeiräten von NDR (M-V), RBB und MDR und damit das weitgehende Stillstellen dieses Themas, die Einbeziehung von Interessen potentieller Kritiker, allerdings nicht die der wichtigsten Gruppe der Neugründer und Wiedergründer von Landwirtschaftsbetrieben bei der Landverteilung, die engen Beziehungen von Bauernverbandskadern und Journalisten, die teilweise aus DDR- Zeiten stammten. Die Hermetik gegenüber diesem Thema in Ostdeutschland hat auch dazu geführt, daß dies im Westteil kaum wahrgenommen wurde und wird.

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Eine wirtschaftlich schädliche, sozial ungerechte und den Markt verzerrende Bodenpolitik konnte so mehr als 20 Jahre ihre Wirkung entfalten.

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Daß dieser Zustand nicht weiter andauert, dazu soll diese Seite beitragen.

 

Rukieten im November 2013

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