Die Ostseezeitung (OZ), ehemalige SED-Zeitung im Bezirk Rostock, hat am 4.4. 2019 über die Agrarlandkonzentration in Mecklenburg-Vorpommern (M-V) geschrieben.
Anlass war, daß die Industriellenfamilie Fiege aus Nordrhein-Westfalen, schon Eigentümer eines 4.000 ha Betriebes in M-V, derzeit zwei weitere, große Betriebe bei Rostock übernimmt. Die OZ besinnt sich auf ihre Tradition und titelt in einem der Beiträge: „Kapitalismus pur in der Landwirtschaft von M-V.“
Die Agrarlandkonzentration in M-V soll also ein Problem eines entfesselten Kapitalismus sein.
Doch ist bisher die Agrarlandkonzentration, das „Landgrabbing“ ein Phänomen in Ostdeutschland und dort vor allem in M-V, Brandenburg und Sachsen-Anhalt.
In Westdeutschland wird von den Familien landwirtschaftlicher Boden in der Regel nicht verkauft; die Fläche wird verpachtet, wenn ein Betrieb aufgegeben wird; das Eigentum verbleibt bei der Familie. Es gibt in Westdeutschland eine breite Eigentumsstreuung an land- und forstwirtschaftlichem Eigentum.
Das hat eine bedeutende Konsequenz: wenn Junglandwirte im Westen einen Betrieb neu gründen wollen, so haben diese viele Ansprechpartner für Pachtflächen, die Neugründung eines landwirtschaftlichen Betriebes ist möglich.
In Ostdeutschland ist die Situation anders, doch hat dies nichts mit einem entfesselten Kapitalismus zu tun, wie uns die OZ wider besseres Wissen glauben machen will.
Die Konzentrierung von Agrarland begann im Osten Deutschlands gleich nach der Wende. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Hauptteil der Flächen im Eigentum und in der Verfügung des Bundes (Treuhand und danach BVVG), der ostdeutschen Länder und der Kommunen.
Diese haben die Flächen anfänglich verpachtet, zu mehr als 90% an Großbetriebe: LPG-Nachfolger, Neugründungen von DDR-Agrarkadern und westdeutsche Investoren. Bäuerliche, mittelständische Betriebe waren von der Verteilung der Flächen fast vollständig ausgeschlossen (Gerke, 2008, Kap. IV).
In M-V wurden beispielsweise noch 1994 allein von der bundeseigenen BVVG über 40% der landwirtschaftlichen Flächen verwaltet. Die BVVG verkaufte in den Jahren 1996 bis 1998 und ab 2000 in großem Ausmaß ihre Flächen nahezu ausschließlich an die Pächter (LPG-Nachfolger, DDR-Agrarnomenklaturkader und westdeutsche Investoren) zu Preisen zwischen 1.000 und 4.500 €/ha (Gerke, 2012). Bauern erhielten in der Regel keine BVVG-Flächen zum Kauf, auch nicht zu hohen Preisen. Die Landkonzentration in Ostdeutschland war schon vor dem Jahr 2000 in denjenigen Regionen sehr hoch, in denen der Anteil der BVVG-Flächen an der landwirtschaftlichen Fläche hoch war, z.B. in der Uckermark in Brandenburg oder in Teilen Vorpommerns (M-V). Durch den Verkauf der BVVG-Flächen an die wenigen Landbesitzer dort, ist die Agrarlandkonzentration auf Dauer gestellt worden. Es ist also die staatliche Bodenpolitik, die für die Landkonzentration im Osten sorgt.
Deswegen ist fast alles falsch, im Artikel der OZ (Kapitalismus pur in der Landwirtschaft von M-V). Der Grund der Landkonzentration ist nicht der Verkauf der BVVG-Flächen, sondern die Verpachtung und der Verkauf nahezu ausschließlich an Großbetriebe. Die Flächen wurden auch nicht „zu saftigen Preisen“ an die Großagrarier verkauft, sondern subventioniert nahe dem Nulltarif, sodaß die BVVG-Käufer jetzt die Flächen zu Preisen von 25.000- 45.000 €/ha an externe Investoren weiterverkaufen, also zum 10- 15 fachen Preis. Externe Investoren kaufen nicht Bauernhöfe, sondern bevorzugt Großbetriebe auf, sodaß in Teilen der Uckermark oder in Vorpommern externe Investoren bis zu 50% der landwirtschaftlichen Flächen ihr Eigentum nennen können. Eine von der Agrarpolitik zu verantwortende, desaströse Entwicklung.
Die Preise für Ackerflächen sind im Osten hoch, aber im Westen noch viel höher, nicht zuletzt aufgrund einer immer noch vorhandenen familiären Beziehung der ehemaligen Bauernfamilien an das Land, die das Land knapp macht.
Es sind also nicht allein die Landpreise, die die Landkonzentration treiben.
In Ostdeutschland, vor allem in M-V, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen, hatte die öffentliche Hand alle Möglichkeiten, nach 1990 eine Agrarstruktur mit breiter Eigentumsstreuung zu schaffen. Die sich immer weiter steigernde Agrarlandkonzentration im Osten war und ist Ziel ostdeutscher Agrarstrukturpolitik. Beteiligt an dieser Strukturpolitik sind alle seit 1990 wichtigen Parteien, CDU, SPD, CSU, FDP, PDS/Linke und nicht zuletzt die Grünen, deren Landwirtschaftsministerin Künast zusammen mit dem damaligen SPD- Finanzminister den großflächigen BVVG-Ausverkauf an Großbetriebe unterstützte.
Die staatlich organisierte Landkonzentration im Osten geht munter weiter. Bei der Übernahme juristischer Personen durch externe Investoren unter 95% der Gesellschaft wird keine Grunderwerbssteuer fällig.
Auch könnten die ostdeutschen Agrarminister bei Verkäufen Vorkaufsrecht wegen einer ungesunden Landverteilung ausüben. Sie tun dies nicht bei Großbetrieben, sondern vielfach, wenn kleine und Kleinstflächen an kleine Familienbetriebe verkauft werden, sie üben das Vorkaufsrecht zugunsten von Großbetrieben aus.
Die OZ hat schon vor rund 20 Jahren, als sich erste Kritik an der Landkonzentration abzeichnete, diffamierend und beschwichtigend formuliert: Kleinbauern beschweren sich.
Die heutige Landkonzentration im Osten ist auch Folge eines Versagens oder Fehlens eines kritischen Journalismus, der nicht allein auf die immer noch dominierenden ehemaligen SED- Bezirkszeitungen beschränkt ist.
Vor Kurzem hat die ARD/Udo Lielischkies einen Beitrag darüber ausgestrahlt, wie Oligarchen aus dem Umfeld von Putin, auch mit Mitteln der Gewalt – einschließlich staatlicher Justiz und Polizei – Bauern von ihren Flächen vertreiben und die Landkonzentration zu ihren Gunsten in Rußland anheizen.
Für Ostdeutschland wartet man seit fast 30 Jahren vergeblich auf einen vergleichbaren Beitrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Betroffenheit wird für Verhältnisse ganz weit weg erzeugt, obwohl die prinzipiellen Mechanismen des Bauernlegens in Ostdeutschland nach 1990 vergleichbar waren und sind.
Literatur:
Gerke, Jörg. 2008. Nehmt und euch wird gegeben. Das ostdeutsche Agrarkartell.
Gerke, Jörg. 2012: Ostdeutsche Bodenpolitik. Das Zusammenspiel von Politik, Justiz und Verwaltung.
Comments