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PD Dr. Jörg Gerke

Einführung zum Gastbeitrag von Rechtsanwalt Dr. Thomas Gertner: fremdbestimmte Wiedervereinigung

Warum ist der Beitrag von Dr. Gertner so wichtig für das Verständnis der ostdeutschen Bodenpolitik nach 1990? Dr. Gertner beschäftigt sich mit dem juristischen Umgang der Boden- und Industriereform im vereinigten Deutschland nach 1990.


Aus dem Erbe letztlich der Bodenreform in der SBZ waren nach der Wende mehr als 1,1 Millionen ha landwirtschaftlicher Nutzfläche, meist gut bonitierte Ackerflächen im Eigentum des Bundes verblieben (BVVG).

Mit diesen Flächen wurde in Ostdeutschland nach 1990 Bodenpolitik betrieben, zur weitgehenden Beibehaltung einer industriellen Landwirtschaft nach dem Muster der DDR und einer weitgehenden Zurückdrängung einer regionalen, bäuerlichen Landwirtschaft. Die Bodenreform in der SBZ hat so auch nach 1990 zu einem erheblichen Anteil die Agrarentwicklung in Ostdeutschland bestimmt.

Nun ist nach 1990 von mehreren Seiten am Umgang mit der Bodenreform Kritik geübt worden. Paffrath (2004, Macht und Eigentum) hat in ihrer Dissertation gezeigt, daß es die Bundesregierung unter Helmut Kohl selbst war, die die Boden- und Industriereform erhalten wollte. Den ostdeutschen Politikern wie Stolpe, Thierse (SPD) oder Lothar de Maizere (CDU) ging es dabei um die Konservierung der Bodenreform und der DDR-Agrarstrukturen (Gerke, 2008, Kap. IV Nehmt und euch wird gegeben. Das ostdeutsche Agrarkartell). Paffrath hat in ihrer Darstellung gezeigt, wie sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil 1991 in der Begründung bis in einzelne Formulierungen an Vorgaben des Bundestages und der Bundesregierung gehalten hat.

Rechtsanwalt Dr. Wasmuth hat in einer Reihe von Arbeiten, auch zusammen mit A. Kempe (Wasmuth, 2012, ZOV, 3, 122- 127; Wasmuth und Kempe, 2012, ZOV, 5, 238- 261) gezeigt, daß die Bodenreform primär keine Landumverteilung, sondern ein Verfolgungsgeschehen war. Danach ergibt sich, daß die Betroffenen, ähnlich wie in Westdeutschland 1951-55 die Möglichkeit einer strafrechtlichen Rehabilitierung erhalten müssen, verbunden mit einer Restitution der enteigneten Objekte nach 1990.

Nun weist Dr. Gertner im vorliegenden Beitrag darauf hin, daß die Siegermächte, Sowjetunion/Russland, aber auch die USA Forderungen zur Unumkehrbarkeit der Strafjustiz gegenüber NS- Verbrechen gestellt haben. Das schließt aber nicht aus, wie Dr. Gertner zeigt, daß ähnlich wie in Westdeutschland, auch in Ostdeutschland eine strafrechtliche Rehabilitation im Einzelfall möglich sein muß. Wie schwer sich das Bundesverfassungsgericht damit tut, zeigt die unverschämt lange Wartezeit von mittlerweile mehr als 4.5 Jahren, in denen Dr. Gertner als Prozessvertreter auf eine Entscheidung wartet. Hätten Bundestag, Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht nicht von Anfang an, von 1990 ab, die Möglichkeit der strafrechtlichen Rehabilitierung für die Opfer der Bodenreform schaffen müssen? Sicher, das zeigt auch der Beitrag von Dr. Gertner. Warum wurde für die Opfer der Bodenreform nur das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz (EALG) geschaffen, von dem zudem vorwiegend die DDR-Agrarnomenklaturkader profitierten?

Weil die öffentliche Hand mit den BVVG- Flächen von mehr als 1,1 Millionen ha Landwirtschaftlicher Nutzfläche Agrarstrukturpolitik betreiben wollte und dies in den letzten 25 Jahren auch im Sinne der ostdeutschen Agrarpolitik für die Konservierung einer industrialisierten Landwirtschaft erfolgreich betrieben hat. Bei einer strafrechtlichen Rehabilitierung von mehr als 90% der Enteignungsfälle (diese Zahl ergibt sich aus den „Würdigkeitsprüfungen“ zum EALG) wäre der größte Teil der BVVG- Flächen restituiert worden und damit breit gestreut worden.

Wenn jetzt 25 Jahre später, im Anschluss an die Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht die Rehabilitierung der Opfer der Bodenreform in großem Umfang erfolgte, so lägen zur Restitution nur noch ca. 150.000 ha der BVVG und vielleicht nochmals ein ähnlicher Pool bei den ostdeutschen Bundesländern zu Rückgabe vor.

Es gibt gute Gründe, anzunehmen, daß die Bundesregierung, durch das Bundesverfassungsgericht im Vorfeld informiert, schon jetzt an Gesetzesvorhaben arbeitet, eine mögliche Restitution der 300.000 ha zu verhindern. Die Bundesregierung und die ostdeutschen Bundesländer wollen mit allen Mitteln eine breite Streuung landwirtschaftlichen Eigentums verhindern.

Und genau das macht den Beitrag von Dr. Gertner so brisant.

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