Anlässlich der Übergabe des Fraktionsvorsitzes der Linken- Bundestagsfraktion hat Gregor Gysi der Schweriner Volkszeitung (ehemalige SED-Zeitung im Bezirk Schwerin) ein Interview gegeben. Bei der Frage nach dem größten Erfolg betonte Gysi, daß die ostdeutschen Eliten und die mittlere Funktionärsebene ihren Platz im vereinigten Deutschland gefunden hätten. Nun war es sicher wichtig, alle mit in die Vereinigung zu nehmen, auch die „ostdeutschen Eliten“ und die „mittlere Funktionärsebene“. Was das aber zur Folge hatte und bis heute hat, soll am Bereich Landwirtschaft gezeigt werden.
Während des Vereinigungsprozesses, schon zwischen November 1989 und April 1990, also vor den ersten freien Wahlen in der DDR, haben die SED-Bezirksleitungen die LPGen unterstützt (mir liegen dazu Unterlagen aus dem Bezirk Potsdam vor, aber es kann davon ausgegangen werden, daß die Vorgehensweise in den anderen SED- Bezirken ähnlich war), um deren Transformation in ein vereinigtes Deutschland sicher zu stellen. Ein von den Bezirksleitungen verwendeter Diskreditierungsbegriff für die Westdeutsche, eher bäuerlich geprägte Landwirtschaft tauchte dort auf – Museumslandwirtschaft – anschließend und bis heute in vielfachen Variationen von den meisten ostdeutschen Agrarpolitikern und Agrarjournalisten häufig wiederholt, was den starken Einfluss der SED auf die Agrardiskussion bis heute unterstreicht. Eine merkwürdige „Museumslandwirtschaft“ in der alten Bundesrepublik, die auf 70% der Landwirtschaftsfläche rund 90% der deutschen Nahrungsmittelproduktion bis heute liefert. In Ostdeutschland übernahmen Funktionäre der SED aber mehr noch der Blockparteien, Demokratische Bauernpartei Deutschlands (DBD), und die Ost-CDU Schlüsselpositionen in den Landwirtschaftsministerien und Ämtern für Landwirtschaft. Die DBD, in der DDR auch „SED auf den Land“ genannt (siehe dazu Bastian, 2003), wurde nach der Vereinigung in die CDU aufgenommen. In drei Bereichen wurden die „ostdeutschen Eliten“ und die „mittlere Funktionärsebene“ besonders tätig. 1. Die Verpachtung der anfänglich mehr als 2 Millionen Hektar Treuhand- (später BVVG-) Flächen wurde von Verpachtungskommissionen bei den Ämtern für Landwirtschaft durchgeführt. Diese waren in der Regel mit Vertretern der Landesbauernverbände (häufig Ex-SED-Funktionäre), und leitenden Vertretern der Ämter für Landwirtschaft (häufig CDU, bzw. Ex-DBD-Funktionäre) so besetzt, daß die Ex-DDR-Funktionäre die Mehrheit hatten. Deswegen erhielten fast ausschließlich LPG- Nachfolger und Betriebe von DDR- Agrarnomenklaturkadern (zum Begriff s. Bastian, 2010) den Zuschlag, wenige westdeutsche Agrarfunktionäre wurden auch bedient, nicht zuletzt deshalb, weil ein gesamtdeutscher Konsens der Agrarlobby geschaffen werden musste. Diese Verteilung eines großen Teils der ostdeutschen Landwirtschaftlichen Flächen an vor allem ehemalige LPG- Funktionäre wurden durch eine mehrstufige Pachtverlängerung bis auf 27 Jahre und den fast ausschließlichen Verkauf der Bundeseigenen Flächen an die Pächter auf Dauer gestellt. Hierzu dienten die Bodenreformflächen und deswegen gab es keine Teilrestitution der Bodenreformflächen nach 1990. 2. Die Umwandlung der LPGen nach der Wende in ihre Nachfolger sollte nach den Vorgaben des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes erfolgen. In nahezu allen Fällen (mehr als 97%) wurden die Vorgaben nicht eingehalten. Dies wurde durch eine umfangreiche Untersuchung an der Universität Jena bis 2002 eindrucksvoll belegt. Entgegen den gesetzlichen Vorgaben wurden fast alle LPG- Nachfolger von den Registergerichten eingetragen. Verantwortlich dafür waren, neben willfährigen westdeutschen Helfern, die DDR- Funktionäre und die „ostdeutsche Agrarelite“ in den Ministerien und Ämtern, die eine ernsthafte Überprüfung der Vorgaben hintertrieben. Aus den LPG-Nachfolgern wurde die Masse der LPG-Mitglieder herausgedrängt, so daß das landwirtschaftliche Vermögen innerhalb kürzester Zeit zwischen 1990 und 1992 auf weniger als 5% der ehemaligen landwirtschaftlichen Mitarbeiter konzentriert wurde. Da die Abfindungen, entgegen den gesetzlichen Vorgaben, marginal waren, wurde innerhalb kurzer Zeit 90% der ostde utschen Landbevölkerung um das Vermögen gebracht. Dazu kommt noch ein weiteres. Nach höchstrichterlicher Rechtssprechung sind in Ostdeutschland rund 11% der LPG- Umwandlungen endgültig gescheitert, ein Sachverhalt, der nicht verjährt! Die so gegründeten LPG- Nachfolger wirtschaften damit auch heute noch mit dem Vermögen aller ehemaligen LPG- Mitglieder. Hier existiert eine juristische Zeitbombe. 3. Eine Vielzahl von Eigentümern wurde in der DDR enteignet, so auch viele private Bauern. Prinzipiell galt, daß Enteignungen nach Gründung der DDR auf Antrag rückgängig gemacht werden sollten. Viele dieser Anträge wurden nach 1990 von Funktionären bearbeitet, die vor 1989 die Enteignungen betrieben haben (s. dazu die Beispiele in Bastian, 2003). Dies sind unannehmbare Zustände aber nicht untypisch in dem vereinigten Deutschland, in dem in der ehemaligen Gauck-, bzw. Birthler-Behörde noch langjährig ehemalige Stasi-Mitarbeiter auch an zentraler Stelle beschäftigt waren. Erst der jetzige Behörden-Leiter, Jahn, hat diesen Zustand beendet. Die Platzierung von Mitgliedern der „ostdeutschen Elite“ und der „mittleren Funktionärsebene“ an zentralen Entscheidungsstellen zur Agrarentwicklung nach 1990 hat zur Privilegierung weniger tausend DDR-Agrarnomenklaturkader geführt, und zur Verarmung großer Teile der ostdeutschen Landbevölkerung. Die Repression gegen die ostdeutschen Bauern wurde nach 1990 fortgesetzt und hält bis heute an. Mehr noch, dieser Funktionärs- oder Elite-Typus hat vielfach nach 1990 die Agrarminister in Ostdeutschland gestellt. Die CDU hat nach 1990 die gesamte DBD aufgenommen. Ehemalige DBD-Mitglieder, wie Wernicke (Sachsen-Anhalt) oder Sklenar (Thüringen), waren dort langjährige Agrarminister. Vor der Wende waren beide stellvertretende Leiter eines volkseigenen Gutes und damit Nomenklaturkader, die von den SED- Abteilungen „befreundete Parteien“ geführt wurden (Bastian, 2010). Sie waren faktisch SED-Mitglieder und haben in den Bundesländern zentral zur desaströsen Agrarentwicklung beigetragen. In Sachsen war nach 1990 ein integrer Mann als Agrarminister unter Biedenkopf vorgesehen. Diffamierungen dieser Person stellten sich später als haltlos heraus, jedoch wurde statt der integeren Person mit Jänichen ein Vertreter der „ostdeutschen Elite“ Minister, mit aller erfolgreichen Lobbyarbeit zur Konservierung der DDR-Agrarstrukturen (Beleites, 2012). Das ehemalige Block- CDU-Mitglied Tillich, heute sächsischer Ministerpräsident, laut Spiegel mit einer DDR Biographie, die die Anstellung als Beamter in Sachsen nach der Wende verhindert hätte, war mehrere Jahre Agrarminister in Sachsen und hat alle Bemühungen torpediert, die gescheiterten LPG-Umwandlungen aufzuarbeiten. Daß ausgerechnet Tillich auf einem CDU-Bundesparteitag die Diskussion über die Vergangenheit der Block-CDU geleitet hat, unterstreicht, daß eine CDU unter dem Vorsitz von Angela Merkel kein Interesse an der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit hat. SED/Linke und CDU sind sich auch heute agrarpolitisch sehr nahe. Das, was Gysi als Erfolg einschätzt, hat im Agrarbereich zu einem strukturellen Desaster geführt. Da heute die reichlich mit Boden und Agrarsubventionen bedachten Agrarnomenklaturkader ihre Betriebe verstärkt an externe Investoren verkaufen, führt diese Agrarstruktur zum Ausverkauf der ostdeutschen Landwirtschaft, die in Teilen von Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg mittlerweile mehr als 30% bewirtschaften. Literatur: Bastian, Uwe (2003): Sozialökonomische Transformationen im ländlichen Raum der neuen Bundesländer. Diss. FU Berlin. Bastian, Uwe (2010): Die Folgen des Landwirtschaftsanpassungsgesetz als aktuelle Herausforderung. In Beleites, M. et al., Hrg. Klassenkampf gegen die Bauern. Berlin. Beleites, Michael (2012): Leitbild Schweiz oder Kasachstan. Hamm.
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